Eigentlich
hören wir Europäer nur recht selten etwas von Venezuela.
Das Tropenland Venezuela liegt im äußersten Norden Südamerikas,
im Windschatten der politischen Stürme, die seine Nachbarn
in Mittelamerika, in Kolumbien oder Peru erschüttern. Natürlich
ist Venezuela keine "Insel der Seligen", doch scheint
diese Nation unter allen südamerikanischen Ländern von
der Natur begünstigt zu sein.
Kaum ein zweites Land in den inneren Tropen kann mit solch vielfältigen
Landschaften aufwarten: Mit 973 m ist der Salto Angel im Bergland
von Guyana der höchste Wasserfall der Erde. Über 3000
km lang sind die traumhaft schönen Küsten an der Karibik
und am Atlantik, über 5000 m hoch der Pico Bolívar,
Venezuelas höchster Gipfel, in der Cordillera de Mérida.
Undurchdringlich sind die Urwälder der Gran Sabana im Südosten,
in denen sich plötzlich die Tepuyes, flach abgeschnittene Tafelberge,
aus dem Wolkenmeer des Regenwalds erheben. Ohne Anfang und Ende
erscheinen dem Besucher die Savannen und Steppen der Llanos (Ebenen)
am Orinoco, wie ein Stück Sahara die Sanddünen von Coro
am Ufer des Karibischen Meeres.
So verschiedenartig wie die Landschaften sind auch die Menschen
Venezuelas: Schwarze, Mulatten, Mestizen, Kreolen, Einwanderer aus
Italien, Spanien, Deutschland sowie Turcos, wie man hier die Araber
aus der Levante, aus Libanon, Syrien oder Palästina nennt.
In Venezuela kann man auch gut anhand der Architektur einen Ausflug
in die verschiedenen Phasen der venezolanischen Geschichte unternehmen:
vom ultramodernen Caracas, dessen Hochhäuser und vielspurige
Stadtautobahnen sich durchaus mit Los Angeles oder São Paulo
messen können, über die Kolonialstädte Colonia Tovar
und Coro, in denen das 18. und 19. Jahrhundert noch lebendig ist,
bis in die Steinzeit, zu den Urwald-Nomaden der Yanomami-Indios
an der brasilianischen Grenze.
Entdeckung
durch Europäer und Namensgebung
Bis zur europäischen Entdeckung von Venezuela wurde
das Land von den Ureinwohnern bewohnt, die Landwirtschaft betrieben
und jagten. Sie siedelten hauptsächlich um den Fluss Orinoco.
Christoph Kolumbus
erreicht auf seiner 3. Reise 1498 die östliche Küste Venezuelas
und ging an der Mündung des Flusses Orinoco an Land. Es war
das erste Mal, dass er und seine Mannschaft das amerikanische Festland
betraten.
Am 24. August
1499 folgte eine Expedition von Alonso de Ojeda und Amerigo Vespucci,
die dem Land wegen der häufigen Verwendung von Pfahlbauten
angeblich den Namen Venezuela (Klein-Venedig) gaben. Diese Theorie
stammt aus Vespuccis Reisebericht Cuatro Navegaciones (4 Schifffahrten)
und ist auch allgemein bekannt, jedoch historisch nicht belegt.
Martin Fernandez de Ensico, der ebenfalls an der Expedition teilnahm,
schrieb in seinem Buch Summa de Geografia von 1518 eine andere Theorie:
An einer Landzunge des Coquibacos-Golfes* befindet sich ein
sandbankähnlicher, großer Felsen, auf dem ein Zaparas-Dorf**
namens Veneciuela steht.
(*) indianische
Bezeichnung für die Maracaibo-See
(**) Zaparas ist ein dort ansässiger Indianerstamm
Demokratische Entwicklung bis heute
1958 wurde der Diktator Marcos Perez Jiménez gemeinsam von
der sozialdemokratischen Acción Democrática und der
Kommunistischen Partei gestürzt. Nach dem Sturz brach die AD
jedoch mit den Kommunisten und verbündete sich mit der christdemokratischen
COPEI. Beide Parteien vereinbarten das Punto-Fijo-Abkommen eine
Aufteilung der Herrschaft über Venezuela, bis in die neunziger
Jahre waren so die herrschenden Parteien entweder die Acción
Democrática oder die COPEI, sie stellten auch die Präsidenten.
Die enttäuschte und isolierte Kommunistische Partei begann
einen Guerillakrieg, im Laufe der 1960er Jahre wurde diese aber
entweder von der Allianz assimiliert oder militärisch zerschlagen.
Nur vordergründig führte der Sturz von Jiménez
also zu einer Demokratie in Venezuela. Bei den ersten freien Wahlen
erhielt die Acción Democrática die Macht in Gestalt
von Rómulo Betancourt, Präsident von 1958 bis 1964 und
in seiner Nachfolge von 1964 bis 1969, sein Parteifreund Raúl
Leoni. Die Wahlen von 1968 führten zum ersten demokratisch
legitimierten Machtwechsel, Präsident wurde der christdemokratische
Rafael Caldera.
1973 schloss
sich Venezuela der Andengemeinschaft an, die seit 1969 die wirtschaftliche
Entwicklung der Region steuern soll. Im selben Jahr gewann der Sozialist
Carlos Andrés Pérez die Wahl zum Staatspräsidenten.
Venezuela gründete mit anderen erdölfördernden Staaten
die OPEC. Der Ölpreis vervierfachte sich in der Folgezeit.
An der venezolanischen Regierung wechselten sich Demokratische Aktion
und die Christsozialen ab. Die drängenden sozialen Probleme
des Landes dümpelten ungelöst vor sich hin. Soziale Unruhen
entstanden, die Hunderte von Toten forderten.
Nach der Ölkrise
von 1973, stiegen in der ersten Amtszeit von Carlos Andrés
Pérez (1974 bis 1979) die Einkünfte des Landes aus dem
Erdölexport rapide und das Land wurde eines der wohlhabendsten
Länder Südamerikas, durch den Verkauf von Erdöl hat
Venezuela von 1973 bis 1983 rund 240 Milliarden Dollar eingenommen
(Arturo Uslar Pietri); die damit einhergehende Verteilungspolitik
führte zu einer für lateinamerikanische Verhältnisse
außerordentlich hohen politischen Stabilität des Landes.
1976 wurde die Ölindustrie auf Druck der Bevölkerung verstaatlicht.
Mit dem eklatanten Verfall des Ölpreises seit 1983 brachen
die Einkünfte jedoch weg und da es keine Investitionen in andere
Wirtschaftszweige gegeben hatte, die die drastisch sinkenden Erdöleinnahmen
zu kompensieren vermochten, führte dies, gemeinsam mit den
immer höher werdenden Auslandsschulden (1993 etwa 35 Milliarden
Dollar), zu einer anhaltenden Wirtschaftskrise.
Der in der zweiten
Amtszeit Carlos Andrés Pérez' (1989 - 1993) als Folge
von Weisungen des Internationalen Währungsfonds begonnene neoliberale
Wirtschaftskurs führte ab dem 27. Februar 1989, ausgelöst
durch eine Preiserhöhung im öffentlichen Verkehr, zum
sogenannten Caracazo. Von den Barrios, den Slums der Hauptstadt,
ausgehend, kam es über mehrere Tage zu schweren Aufständen
und Plünderungen der wohlhabenderen Stadtviertel. Die Regierung
Pérez ließ die Aufstände gewaltsam niederschlagen,
zwischen 400 und 5.000 Menschen kamen dabei ums Leben. Infolge der
Krise kam es 1992 zu zwei Putschversuchen gegen die Regierung Pérez,
einem am 4. Februar 1992 durch Hugo Chávez (Chávez
scheiterte und wurde festgenommen, nach zwei Jahren Haft aber freigelassen)
und einem am 27. November. 1993, einem Jahr mit volkswirtschaftlichem
Minuswachstum, wurde schlussendlich der Präsident Carlos Andrés
Pérez durch den Obersten Gerichtshof wegen Veruntreuung und
Korruption abgesetzt. Durch die Wahlen 1994 wurde Rafael Caldera
neuer Präsident. Bis 1998 gelang ihm zwar die politische Stabilisierung,
der Wirtschaftskrise wurde aber auch er nicht Herr. So lag bei seinem
Amtsantritt 1994 die Inflationsrate bei 71 %, es gab eine schwere
Währungskrise und einen Zusammenbruch des Banksystems.
Im Dezember
1998 wurde Hugo Chávez mit einem Stimmenanteil von 56 % zum
Präsidenten gewählt. Seine erklärten Ziele waren
unter anderem die Schaffung und Stärkung möglichst direkter
Demokratie, sowie die nationale und ökonomische Unabhängigkeit.
Die beiden etablierten Parteien (COPEI und Acción Democrática),
denen er Vetternwirtschaft und Korruption vorwarf, erlitten dabei
massive Stimmenverluste und erhielten nurmehr 9 % Zustimmung. Im
Dezember 1999 wurde die neue Bolivarische Verfassung durch ein Referendum
beschlossen. Am 30. Juli 2000 wurde Chávez mit fast 60 %
der abgegebenen Stimmen im Amt bis 2006 bestätigt. Im April
2002 versuchte die Opposition durch Proteste einen Rücktritt
von Hugo Chávez und vorgezogene Neuwahlen zu erzwingen. Dabei
kam es zu Schießereien, bei denen insgesamt 19 Menschen starben,
darunter sowohl Chávez-Anhänger als auch -Gegner. Die
Oppositionssender behaupteten jedoch wahrheitswidrig, es seien Oppositionsanhänger
angegriffen und getötet worden.[7][8][9] Kurz darauf setzte
das Militär Chávez ab und an seiner Stelle Pedro Carmona
als Übergangspräsidenten ein, flankiert durch eine Kampagne
der privaten Medien. Dies löste Massenproteste von Millionen
Chávez-Anhängern aus; der Putsch scheiterte, seine Anführer
wurden festgenommen und Chávez wieder als Präsident
eingesetzt.
Nach erneuten
Protesten der Chávez-Gegner im Dezember 2002 begann am 3.
Dezember 2002 der längste Generalstreik der venezolanischen
Geschichte, der allerdings teilweise Züge einer Aussperrung
trug, da er unter anderem durch die Unternehmerverbände initiiert
wurde. Im Februar 2003 wurde der Streik erfolglos beendet.
Chávez
(links) mit seinem argentinischen Amtskollegen Néstor KirchnerAm
3. Juni 2004 gab der Präsident des Nationalen Wahlrats, Francisco
Carrasquero bekannt, dass von 3,4 Millionen von der Opposition für
ein Referendum gegen Chávez gesammelten Stimmen 2,54 Millionen
anerkannt würden und so das Referendum mit knapp 15.738 Stimmen
Überschuss zugelassen würde. Bei dem Referendum am 15.
August 2004 waren etwa 58 % aller Wahlberechtigten gegen eine Amtsenthebung
von Hugo Chávez und somit gegen Neuwahlen. Die Wahlbeteiligung
betrug laut der Wahlkommission 69,92 %[10]. Nach ersten Zahlen bescheinigten
internationale Wahlbeobachter, unter ihnen der amerikanische Ex-Präsident
Jimmy Carter, entgegen zuvor geäußerter Befürchtungen
der Opposition über möglichen Wahlbetrug, der Wahl einen
einwandfreien Verlauf. Als zentraler Faktor für Chávez'
Erfolg galt die wirtschaftliche Erholung des Landes. Unmittelbar
nach der Bekanntgabe des Ergebnisses kam es zu Ausschreitungen in
Caracas.
Bei der Präsidentschaftswahl
2006 gewann der Kandidat Hugo Chávez Frias mit 62,84 % der
abgegebenen Stimmen. Erklärtes wichtiges Vorhaben der neuen
Regierung ist die Wiederverstaatlichung der in den 80er und 90er
Jahren im Zuge einer neoliberalen Politik privatisierten Betriebe
und Ölfelder. Eine diesen Weg unterstützende Verfassungsreform,
welche aber auch unter anderem die Ersetzung des Zweikammerparlaments
durch eine Nationalversammlung vorschlug, wurde im Dezember 2007
jedoch von 50,7 % der Abstimmenden abgelehnt. Im Jahr 2006 unterzeichnete
Venezuela den Beitritt zum Wirtschaftsbündnis Mercosur und
mitbegründete 2008 die Union Südamerikanischer Nationen.
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